Drachen bei T.Livius & Co.

 

Zu Drachen gibt es eine ganze Bibliothek voll Literatur. Es sei lediglich auf die Websites http://de.drachen.wikia.com/wiki/Drachen_Wiki und http://bestiarium.net/ verwiesen sowie auf die jüngere Publikation von Timo Rebschloe, Der Drache in der mittelalterlichen Literatur Europas, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2014.

Hier soll eine einzige Drachen-Geschichte philologisch und buchgeschichtlich vertieft werden.

Der Kampf des Feldherrn Atilius Regulus gegen einen Drachen

In einem mit 236 (zum Teil wiederholten) großartigen Holzschnitten eines unbekannten Künstlers illustrierten Buch aus dem Jahr 1505 wird folgender Kampf gegen einen Drachen dargestellt:

Romische Historie / Uß Tito Livio gezogen. Mainz: Schöffer, 6. März 1505; fol. XCIIII recto. > http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0000/bsb00004902/images/index.html?seite=00001&l=de

Überschrift: Wie Marcus regulus ein wunder grosse schlang mit stürmen vnd werffen vertylget die hundert vnd zweintzig schuoch lang ware.

Der Titel des Buches »Uß Tito Livio gezogen« führt einen dazu, die Stelle beim römischen Geschichtsschreiber Livius zu suchen. 

Titus Livius wurde 59 v.u.Z. geboren und starb ca. 17 u.Z. Sein Geschichtswerk – von der Gründung Roms an erzählt, deshalb »ab urbe condita« genannt – umfasste 142 Bücher (wobei er möglicherweise 150 plante). Davon sind nur noch die Bücher 1–10 und 21–45 überliefert. Die anderen Bücher sind lediglich in Form von wohl im 4. Jh. enstandenden Inhaltsangaben (»Periochae«, von griech. περιοχή ›Zusammenfassung‹) erhalten geblieben. Vgl.: http://www.livius.org/articles/person/livy/livy-the-periochae/ (hier auch weitere einschlägige Artikel zu Livius). Ferner gibt es die  »Epitome« (von griech. ἐπιτομή ›Auszug, Exzerpt‹) des L. Annaeus Florus (ca. 74–130). Im Laufe des Mittelalters und der Renaissance wurden gelegentlich Textstücke gefunden. Die erste, noch unvollständige Ausgabe erscheint 1469 im Druck.

Anliegen von Livius war es, die vorbildlichen Römer darzustellen, um seiner eigenen sittenlosen Zeit die alten römischen Werte vor Augen zu führen. Beim Beibringen von Materialien war es ihm egal, ob neben den historischen Fakten auch sagenhafte Erzählungen unterliefen.

Die Geschichte, zu der das Bild passt, steht in einer solchen Perioche: ex Libro XVIII periocha. Da heißt es aber nur:

Atilius Regulus in Africa serpentem portentosae magnitudinis cum magna clade militum occidit. – Atilius Regulus erlegte in Afrika eine Schlange von ungeheuerer Größe unter großem Verlust seiner Soldaten.

Lat. Text und englische Übersetzung in: http://www.livius.org/li-ln/livy/periochae/periochae016.html#18

Titus Livius: Römische Geschichte. Von der Gründung der Stadt an, Übersetzt von Otto Güthling, nach der Ausgabe Leipzig 1936/1938 besorgt von Lenelotte Möller, Wiesbaden: Marix-Verlag 2009; S. 428.

Im Text zum Bild 1505 steht indessen ein ausführlicherer (frühneuhoch-)deutscher Text:

[…] vnd belyb Attilius Regulus mit dem hör [Heer] in Affrica/ der legert sich an ein wasser genannt Bagrada. [Bild mit Überschrift Wie Marcus regulus ein wunder grosse schlang mit stürmen vnd werffen vertylget die hundert vnd zweintzig schuoch lang ware; dann:] Da funden syne ritter ein wunder grossen trachen des gestalt vnd angesicht vast grusam was/ der ir vil vmbracht / nit allein die er begriff/ Sonder ouch welche er mit synem atten [Atem] erlangen mocht. wider den zoch Regulus mit heres krafft vnnd empfieng gossen schaden von im/ Dann man in mit geschoß/ der man sich dozemal gebrucht noch sunst nit verwunden mocht/ zu lest richt Regulus zuo [zurichten im Sinn von bereitstellen] ettlich hanntwercke/ die stein wurffen/ In damit zutemmen [zu vertilgen]/ Also geriet ein wurff/ der prach im den gratt vff dem rucken/ Das er nit mer sich schlingen mocht/ Darnach wurffen sie in vol zetod/ Vnnd zugen im syn hut [Haut] ab/ die was hert von grossen schuoppen/ vnd hett an der lengi zweinzig vnd hundert schuoch/ die schickt Regulus gen Rom/ da man sie lang zyt für ein wunder zöiget.

Das Bild zeigt genau das: Ein Soldat liegt bereits tot unter der Klaue des Drachen; Armbrust, Spieß, Hacke und Beil (geschoß/ der man sich dozemal gebrucht) werden gegen den Drachen eingesetzt; rechts hinten wird eine Ballista bereitgestellt (hanntwercke/ die stein wurffen); einige Steine haben schon getroffen. – Der Drache scheint allerdings Feuer zu speien; dieses Motiv kommt im Text nicht vor. Entweder ist das ein Mitbringsel des Bildimports, oder es soll damit der giftige Atem dargestellt sein.

Erste Frage: Woher hat der Illustrator 1505 die bildliche Vorstellung des Drachen?

Beschreibungen von Drachen (im Sinne der Ekphrasis) gibt es in der antiken Literatur nur spärlich. Ovid (Metamorphosen VII, 149ff.) beschreibt, wie Iason den Drachen bezwingt, der das Goldene Vließ bewacht. Dieser wird so geschildert: Pervigilem superest herbis sopire draconem, qui crista linguisque tribus praesignis et uncis dentibus horrendus custos erat arboris aureae. – Aber es gilt noch, mit Kräutern den Drachen einzuschläfern, den wachen, der war, mit einem Kamm, mit drei Zungen und krummen Zähnen versehen, ein schrecklicher Wächter des goldenen Baums.

Selbstverständlich kommen als Vorlagen in Frage alle Bilder mit dem Kampf des heiligen Georg gegen den Drachen in der Buchmalerei, auf Altären oder als Statuen. Ungefähr gleichzeitig mit dem Druck ist Dürers Bild des Hl. Georg als Drachentöter zu datieren > http://www.zeno.org/nid/20004000668

Die heilige Martha [von Bethanien] zähmt in der Legende einen Drachen:

Quelle: Passional. das ist der heyligen leben [Gedruckt durch] Anthonium Koberger […] in der keyserlichen stat Nürnberg 1488; Fol. LXXXIIII recto. (Hier nach Albert Schramm, Der Bilderschmuck der Frühdrucke, Band 17: Die Drucker in Nürnberg: 1. Anton Koberger, Leipzig, 1934; Nr. 119)

Text dazu in Auszügen: Nun was ein […] wald da was gar ein schedlicher track inne der tet gar vil schaden vnd töttet die menschen gar iemerlichen vnd fraß auch das vihe wo er es ankam. […] Der track het zwelff fuß. vnd het kloen als ein ber. vnd wz als stark das in zwelff lewen nit mochten vberwinden. [Das wird Martha berichtet. Sie macht sich auf, mit Weihwasser und Kruzifix.] Da aß er einen menschen den hett er erst ertött. da het sant Martha ein gantzen getrawen zu unserm herren Jesu cristo. vnd nam das weychwasser vnnd goß auff den tracken vnd machet ein creutz vber in. […] vnd zuhand ward der track vberwunden […] vnd war zam als ein senfftes lamb. [So kann er dann mit Schwertern und Speeren totgestochen werden.]

In der Profanikonographie sind Bilder eher selten. In der Dietrich-Sage wird Sintram von Dietrich aus dem Schlund eines Drachen gerettet (Bild?). – In Wirnts von Gravenberc »Wigalois« wird ein Drache namens Pfetân geschildert. Die Prosaauflösung wurde bereits in der Inkunabelzeit illustriert gedruckt als »History Von dem Edelen Herren Wigoleis vom Rade«.

Bild aus dem Fragment des Drucks Schönsberger Augsburg 1493 > http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/bsb00006620/images/

Im Medium der (im damaligen Verständnis) wissenschaftlichen Literatur kommen Drachen in den Bestiarien vor; vgl. hierzu die Galerie auf http://bestiary.ca/beasts/beastgallery262.htm#

Bodleian Library, MS. Douce 167, Folio 7v (13. Jh.)

Sodann gibt es Drachen in der Ornamentik da und dort, insbesondere bei Initialen in der Buchmalerei oder beispielsweise hier:

Fußboden im Basler Münster, Ende 12. Jh., vgl. http://www.baslermuenster.ch/bauwerk/rundgang/ausstattung/drachenmedaillon

Zweite Frage: Woher stammt dieses Textstück?

Nicht aus dem überlieferten Livius-Text. Der hat dort eine Lücke. Man muss wissen, wie die Ausgabe 1505 zustande gekommen ist.

Die ersten 191 Folioblätter von »Romische Historie / Uß Tito Livio gezogen« (1505) hat  Bernhard Schöfferlin (ca. 1436/38 – 1501) ins Deutsche übersetzt; ab fol. CXCII ist es Ivo Wittich († 1507).

In der Vorrede steht: Ich will mich … nit uff ein buoch begeben, sonder uß allen bewerten buochern/ durch die latinischen vnnd kriechischen beschriben/ sameln/ das mir fuoglich [schicklich] ist/  als die binen tuond/ die uß mengerley blumen dz süeß sugen davon sie ir honig machen. – Es handelt sich also eingestandenermaßen um eine Kompilation (vgl. das Bienengleichnis !) antiker Texte.

Spezielle Literatur hierzu:

Franz Josef Worstbrock, Deutsche Antikerezeption 1450–1550, Boppard am Rhein: Boldt 1976. #245 – #254 Bibliographie der bei Schöffer in Mainz gedruckten Ausgaben 1505 bis 1546. 

Walther Ludwig, Römische Historie im deutschen Humanismus: Über einen verkannten Mainzer Druck von 1505 und den angeblich ersten deutschen Geschichtsprofessor. Vorgelegt in der Sitzung vom 30. Januar 1987 (Berichte aus den Sitzungen der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Hamburg; Jg. 5, H. 1), in Komm. Verlag Vandenhoeck und Ruprecht 1987.

Walter Röll, Artikel »Schöfferlin, Bernhard« in: Die dt. Lit. des Mitterlalters, Verfasserlexikon, Band 8, Sp. 810–814 (1992).

Walter Röll, Die Druckgeschichte der »Römischen Historie« Bernhard Schöfferlins in Umrissen. In: Von wyßheit würt der mensch geert ... Festschrift Manfred Lemmer, hg. I. Kühn / G. Lerchner, Frankfurt/M. 1993, S. 205–225.

Carla Winter, Humanistische Historiographie in der Volkssprache. Bernhard Schöfferlins »Römische Historie« (Arbeiten und Editionen zur mittleren deutschen Literatur. Neue Folge; Band 6), Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1999.

Texts and transmission. A survey of Latin classics ed. by L. D. Reynolds, Oxford: Clarendon Press 1983, pp. 205–214.

In der Livius-Übersetzung, die kurz nachher auf den Markt kam, wird der Text übernommen, das Bild neu geschnitten:

Römsche History vsz T. Liuio. Getruckt vnd vollendet in der loblichen fryen statt Straßburg durch sunderlichen fleiß Joannis Grüninger, 1507, fol. LXXXV recto. > http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/bsb00001874/images/

Die Kopie des ebenfalls unbekannten Holzschneiders ist gut gelungen, die Gesichter sind besser gezeichnet. Der Armbrustschütze fehlt, und im Hintergrund in Karthago, anno 256 vor Chr., steht immer noch eine christliche Kirche …

Textzeugnisse mit dem Kampf von Regulus gegen den Drachen

Wir bringen die Textstücke, aus denen sich B. Schöfferlin bedient haben mag, in chronologischer Reihenfolge.

Vorbemerkung: Wir dürfen uns nicht stoßen, wenn Drachen oft mit dem lateinischen Wort serpens bezeichnet werden. Das sollte man nicht mit ›Schlange‹ übersetzen, sondern mit ›Kriechtier‹ (von serpo ›kriechen‹; heute nennen wir diese Klasse der Wirbeltiere ›Reptilien‹, von repo ›kriechen‹). Es ist der Überbegriff in der alten Zoologie; und der Drache ist das größte Kriechtier: Draco maior cunctorum serpentium, sive omnium animantium super terram. (Isidor von Sevilla, Etymologiae XII,vi,4). Drachen werden übrigens nicht unter den Monstren, sondern bei den Tieren abgehandelt.

VALERIUS MAXIMUS (erste Dezennien u.Z.), Memorabilia I, 8 ext. 19 [er zitiert Livius]:

Quae quia supra usitatam rationem excedentia attigimus, serpentis quoque a T. Liuio curiose pariter ac facunde relatae fiat mentio: is enim ait in Africa apud Bagradam flumen <konj.: serpens> tantae magnitudinis fuisse, ut Atilii Reguli exercitum usu amnis prohiberet, multisque militibus ingenti ore correptis, conpluribus caudae uoluminibus elisis, cum telorum iactu perforari nequiret, ad ultimum ballistarum tormentis undique petitam silicum crebris et ponderosis uerberibus procubuisse omnibusque et cohortibus et legionibus ipsa Karthagine uisam terribiliorem, atque etiam cruore suo gurgitibus inbutis corporisque iacentis pestifero adflatu uicina regione polluta Romana inde summouisse castra. adicit beluae corium centum et uiginti pedum in urbem missum. > http://www.thelatinlibrary.com/valmax1.html

… so muss ich nun auch etwas von der Schlange berichten, welche von Tit. Livio mit Fleiß und zierlich beschrieben worden. Derselbe spricht, dass in Africa bei dem Fluss Bagrada eine so große Schlange gewesen sei, dass sie des Atilii Reguli ganzem Heer desselben Stroms zu genießen verwehret, sie habe viel Soldaten mit ihrem Rachen verschlungen, viele mit dem herumb gewundenen Schwanz erdrücket, und weil man sie mit keinem Gewehr durchstossen kunte, sei sie endlich durch die Gewalt der großen von den Ballestern auf sie geschossenen Steinen erleget worden, und die Soldaten hätten dieses Wunder-Tier mehr als die Stadt Carthago selber gescheuet; weil aber die Luft von dem giftigen Blut und Gestank dieses Ungeheuers die ganze Gegend daherumb vergiftet worden, so hätten die Römer ihr Lager daselbst aufgeben müssen. Er sagt auch, dass die Haut dieser Schlangen 120 Schuh lang in die Stadt geschicket sei. (Übersetzung von Eberhard Werner Happel, 1678)

In diesem Text sind – abgesehen davon, dass die Haut nicht als schuppig beschrieben wird – alle Elemente der deutschen Fassung von 1505 vorhanden.

SENECA (* etwa 1 u.Z.; gest. 65), Brief 82, ¶ 24:

Serpentem illam in Africa saevam et Romanis legionibus bello ipso terribiliorem frustra sagittis fundisque petierunt: ne Pythio quidem vulnerabilis erat. Cum ingens magnitudo pro vastitate corporis solida ferrum et quidquid humanae torserant manus reiceret, molaribus demum fracta saxis est. Et adversus mortem tu tam minuta iacularis? > https://la.wikisource.org/wiki/Epistulae_morales_ad_Lucilium/Liber_X

Jene Schlange in Afrika, wütend und den römischen Legionen schrecklicher als der Krieg selbst, haben sie vergeblich mit Pfeilen und Schleudern angegriffen; nicht einmal für den pythischen Gott war sie verwundbar, denn die ungeheure, im Verhältnis zur Größe feste Körpermasse ließ Eisen und was sonst Menschenhände geschleudert hatten, abprallen; mit Felsbrocken, groß wie Mühlsteine, wurde sie endlich vernichtet. – Und gegen den Tod schleuderst du winzige Steinchen? (Übersetzung von Manfred Rosenbach)

PLINIUS (23–79), nat. hist.  VIII, xiv, 37:

Nota est in Punicis bellis ad flumen Bagradam a Regulo imperatore ballistis tormentisque, ut oppidum aliquod, expugnata serpens CXX pedum longitudinis; pellis eius maxillaeque usque ad vellum Numantinum duravere Romae in templo.

Bekannt ist jene [Schlange; serpens im Text vorher] von 120 Fuß Länge, die im Punischen Krieg vom Feldherrn Regulus am Flusse Bagrada durch Wurfgeschütze und Belagerungsmaschinen wie eine Stadt im Kampfe bezwungen wurde; ihre Haut und ihr Gebiss habe sich bis zum Numantischen Krieg in einem Tempel zu Rom erhalten.

SILIUS ITALICUS (* um 25; † um 100), Lib. VI, Verse 140–298.

Zusammenfassung des im Stil des heroischen Epos formulierten Texts:

Der Erzähler berichtet, wie sich die Truppen am schlammigen Fluss Bagrada niederlassen. Aus einem Hain dort strömt garstiger Gestank (crassusque per auras | Halitus erumpens tetrum exspirabat odorem). Im Innern des Hains eine Grotte, und darin ein Unheil stiftendes Ungetüm (monstrum exitiabile), ein Drache, der hundert Ellen misst. Er beschreibt die Fresssucht und die Nahrungsreste auf dem Boden: ausgespiene halb verzehrte Knochen. Die Männer beschließen, das Terrain zu erkunden, da tritt ihnen ein Wirbelwind und ein Unwetter entgegen. Der Drache reckt sein Haupt empor und speit Geifer in die Wolken (Extulit adsurgens caput, atque in nubila primam | Dispersit saniem, et cælum foedavit hiatu.) Er vertilgt die Gefährten des Erzählers, der entrinnen kann und die Begebenheit dem Feldherrn erzählt. Dieser mobilisiert sofort die Truppen und stürzt selbst mit dem Ross los. Die Schar  nimmt schwere Katapulte mit, Geschütze, wie man sie sonst gegen Gemäuer einsetzt (Ballistas tormenta graves, suetamque movere | Excelsas turres). Der Drache zischt Feuerbrand aus dem Maul hervor, Feuer blitzt aus seinen Augen, die dreigespaltene Zunge beleckt den Äther. Die Angreifenden schleudert er in die Luft  und frisst die Herunterfallenden. Schon weichen die Feldzeichen rückwärts, aber der Feldherr feuert die Scharen an. Er schleudert eine Lanze, die sich dem Untier in den Schädel bohrt; der Reiter kann mit dem Pferd ausweichen. Die Schar schießt weiter Wurfspieße auf die Bestie, bis schließlich das Katapult mit dem Anprall Bändigung bringt (Donec murali ballista coercuit ictu). Weitere Streiche setzen dem gelähmten Drachen zu, bis aus einem Wund-Loch zersetzende Jauche entströmt. Dann endlich zerschmettert ein Geschütz sein Haupt.

Lat. Text > http://gutenberg.polytechnic.edu.na/2/7/2/1/27219/27219-8.txt

Silius Italicus, Punica, with an English translation by J.D. Duff, London: Heinemann 1961 (The Loeb classical library; no. 277/278) – Die Geschichte vom Drachenkampf ins Deutsche übersetzt: Uwe Fröhlich a.a.O., S. 169–173.

Spezialliteratur zu Silius Italicus:

Edward L. Bassett, Regulus and the Serpent in the Punica, in: Classical Philology, Vol. 50, No. 1 (Jan. 1955), pp. 1–20 > https://www.jstor.org/stable/266113

Uwe Fröhlich, Regulus, Archetyp römischer Fides. Das sechste Buch als Schlüssel zu den Punica des Silius Italicus; Interpretation, Kommentar und Übersetzung, Tübingen: Stauffenburg-Verlag 2000.

FLORUS (um 120), Epitoma de Tito Livio, Liber I, Cap. xviii, 20

Cum in vindictam Africae nata mirae magnitudinis serpens posita apud Bagradam castra vexaverit. Sed omnium victor Regulus cum terrorem nominis sui late circumtulisset cumque magnam vim iuventutis ducesque ipsos aut cecidisset aut haberet in vinculis, classemque ingenti praeda onustam et triumpho gravem in urbem praemisisset, iam ipsam, caput belli, Carthaginem urguebat obsidio ipsisque portis inhaerebant.

But the Romans had to contend not only with human beings, but also with monsters; for a serpent of wondrous size, which seemed to have been created for the defence of Africa, harassed their camp on the Bagradas. But Regulus, everywhere victorious, having spread far and wide the terror of his name and having slain or holding as prisoners a large number of the enemy's troops and even of their generals, and having sent in advance to Rome a fleet laden with immense spoils and full of material for a triumph, was already threatening Carthage itself, the author of the war, with blockade and pressing hard upon its very gates.

> http://penelope.uchicago.edu/Thayer/E/Roman/Texts/Florus/Epitome/home.html

AULUS GELLIUS (ca. 130 – 180), Noctes Atticae  VII, iii, 1:

Tubero in historiis scriptum reliquit bello primo Poenico Atilium Regulum consulem in Africa castris apud Bagradam flumen positis proelium grande atque acre fecisse adversus unum serpentem in illis locis stabulantem invisitatae inmanitatis eumque magna totius exercitus conflictione balistis atque catapultis diu oppugnatum, eiusque interfecti corium longum pedes centum et viginti Romam misisse. > http://penelope.uchicago.edu/Thayer/L/Roman/Texts/Gellius/7*.html

Tubero [der Historiker L.Aelius Tubero war ein Freund Ciceros; 1. Jh. v.u.Z.] hat uns in seinen Aufzeichnungen auch berichtet über einen Fall, dass, als der Consul Atilius Regulus im ersten punischen Krieg in Afrika sein Lager an den Ufern des Flusses Bagrada aufgeschlagen hatte, er ein hartnäckiges und scharfes Gefecht zu bestehen hatte gegen ein außerordentlich seltenes Schlangenungeheuer, das sich dort aufhielt und die Gegend unsicher machte; dass es eines langen und großen feindlichen Angriffs von Seiten des ganzen Heeres bedurfte, und dass  man nach endlicher Erlegung dieses Ungeheuers die abgestreifte, 120 Fuß lange Haut desselben nach Rom geschickt habe.

CASSIUS DIO (*um 163; † nach 229) Fragments of Book XI, 13 1:

Now while Regulus was encamped beside the Bagradas river, there appeared a serpent of huge bulk, the length of which is said to have been one hundred and twenty feet (for its slough was carried to Rome for exhibition), and the rest of its body corresponded in size. It destroyed many of the soldiers who approached it and some also who were drinking from the river. Regulus overcame it with a crowd of soldiers and with catapults. > http://penelope.uchicago.edu/Thayer/E/Roman/Texts/Cassius_Dio/11*.html

OROSIUS (* um 385; † um 418), Historiae adversus Paganos,  IV, viii, 10–15

10 Regulus, bellum Carthaginiense sortitus, iter cum exercitu faciens haud procul a flumine Bagrada castra constituit: ubi cum plurimos militum aquandi necessitate ad flumen descendentes serpens mirae magnitudinis deuoraret, Regulus ad expugnandam bestiam cum exercitu profectus est. 11 sed nihil in tergo eius proficientibus iaculis atque omni telorum ictu inrito, quae per horrendam squamarum cratem quasi per obliquam scutorum testudinem labebantur mirumque in modum, ne corpus laederent, ipso corpore pellebantur, cum insuper magnam multitudinem morsu conminui, impetu proteri, halitu etiam pestifero exanimari uideret, ballistas deferri imperauit, per quas murale saxum spinae eius incussum conpagem totius corporis soluit. […] 14 […]  unde etiam haec serpens, quae tamdiu tot iaculis inuulnerabilis obstitit, ad unius saxi ictum debilis cessit ac mox circumuenta telis facile oppressa est. 15 corium autem eius Romam deuectum - quod fuisse centum uiginti pedum spatio ferunt - aliquamdiu cunctis miraculo fuit. > http://www.thelatinlibrary.com/orosius/orosius4.shtml

(10) Regulus, der den Krieg gegen Karthago erlost hatte, unternahm mit seinem Heer einen Marsch und schlug nicht weit vom Fluss Bagrada sein Lager auf. Als dort eine Schlange von erstaunlicher Größe sehr viele  Soldaten, die zum Fluss herabstiegen, um Wasser zu holen, verschlungen hatte, brach Regulus zur Überwindung des Ungeheuers mit dem Heer auf. (11) Nichts aber bewirkten Wurfspieße im Rücken, und vergeblich war jeder Pfeilschuss. Die Geschosse glitten am schauerlichen Schuppengeflecht gleich wie an einem Schutzdach der Schilde (testudo) herab und wurden auf wunderbare Weise, ohne den Körper zu verletzen, vom Körper selbst fortgestoßen. Als Regulus darüber hinaus sah, dass eine große Menge von Soldaten durch Bisse verletzt, durch Angriffe aufgerieben und auch durch den verderbenbringenden Atem getötet wurden, befahl er Schleudermaschinen (ballistae) herbeizuschaffen, durch die er einen mühlsteingroßen Felsblock auf das Rückgrat der Schlange schleudern ließ und so das Gefüge des Körpers auflöste. [Folgen biologische Ausführungen, wo Schlangen/Drachen verletzlich sind.] (14) Daher wich auch diese Schlange, die so lange so vielen Wurfgeschossen unverletzt widerstand, durch den Schlag eines einzigen Steins verkrüppelt; alsobald umzingelt, wurde sie durch Wurfwaffen (telum) leicht überwältigt. (15) Ihre Haut, die 120 Fuß lang gewesen sein soll, wurde nach Rom gebracht und dann von allen bewundert.

Übersetzungen: Die antike Weltgeschichte in christlicher Sicht. Paulus Orosius, übersetzt und erläutert von Adolf Lippold, Zürich: Artemis Verlag 1985/1986 (Bibliothek der alten Welt) – Paulus Orosius, Seven books of history against the pagans, transl. with introd. and notes by Irving Woodworth Raymond, New York: Columbia U.P. 1936 (Records of civilization, sources and studies; 26).

Hans SACHS, »Regulus mit dem großen drachen« (17. april 1554) 

Nach dem her Marcus Regulus
mit einem großen here
zu felde lag in Africa
mit harnisch und mit were
am großen waßer Bagrada,
da ist erfunden woren
in dem revier des selben lants
Nahent bei dises waßers fluß
ein grausam großer drache,
erschröcklich und gar ungeheur
offen stund im sein rache, ………

usw. siehe > http://www.zeno.org/nid/20005572924

Weitere deutsche Übersetzungen und ihre Illustrationen

Nikolaus Fabri von Karbach (Carbachius)  entdeckte in der Bibliothek des Mainzer Domstifts eine Liviushandschrift, die Buch 33 bis 40 teils neu, teils in stark abweichender Fassung bot, und schuf mit dem ›Mainzer Livius‹ 1518 eine auch textkritisch wertvolle (lateinische) Edition, die die Epitome des Florus einschloß. Ferner brachte er, das Übersetzungswerk Schöfferlins und Wittichs weiterführend und ergänzend, gute deutsche Teilübersetzungen des Livius 1523 und 1533 heraus.

Literatur: Franz Josef Worstbrock, Artikel »Karbach«, in: Deutscher Humanismus 1480–1520 Verfasserlexikon, Band 1, Sp. 1261–1265 (2005).

Romische historien Titi Liuij mit etlichen newen Translationen so kurtzuerschienen jaren im hohn thumStyfft zuo Mentz jm latein/ erfunden, vnd vorhyn nit mer gesehen sein. Dauon such im ende des Registers, Mentz: [Schoeffer] 1523 > https://books.google.ch/books?id=zaVoAAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s

1523 derselbe Text wie 1505, in etwas modernisierter Schreibweise. Obwohl andere Bilder im Buch bereits neu gestaltet sind, zu Regulus’ Drachenkampf derselbe Holzschnitt wie 1507, wovon Schöffer den Druckstock noch hat.

Dann 1533 mit dem Holzschnitt von Conrad Faber von Creuznach († 1552/53):

Titi Liuij deß aller redsprechsten und hochberümpsten geschicht schreibersz/ Römische Historien/ jetzundt mit gantzem fleiß besichtigt/ gebessert und gemehret. Welche allen Rittermessigen/ Gewaltigen/ Regierern derLandt vnd Stett/ so sich inn Tugent/ Mannheyt/ oder Ritterlichen thaten understehn zuo üben/ nit alleynzuo lesen lustig/ sonder jnen/ auch eynem jeden menschen gemeynes standts/ vast nützlich/ vnnd zuowissen noth seindt/ etc., Meynz: Ivo Schöffer 1533. Fol. XCVIII recto > http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10140763_00223.html

Weitere Auflagen: 1538; 1541 > http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10140765-8 und 1551 (hieraus das Bild).

Spezielle Literatur zu den Mainzer Drucken (inkl. Straßburger Druck):

Else Thormählen, Die Holzschnittmeister der Mainzer Livius-Illustrationen, in: Gutenberg-Jahrbuch 1934, S. 137–154. > https://www.digizeitschriften.de/dms/toc/?PID=PPN366382810_1934  — Die Verfasserin kann aufgrund von Stilvergleichen fünf verschiedene Zeichner ausmachen und zum Teil auch bekannten Künstlern zuordnen, insbesondere Conrad Faber von Creuznach, dessen Bilder seit 1523 eingefügt werden.


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1568 erscheint bei Feyerabend eine Überarbeitung des Texts durch Zacharias Müntzer. Von den 136 Holzschnitten (die Zeichnungen evtl. von Hans Bocksberger, † 1561) sind viele signiert von Jost Amman (1539–1591). (Neuauflagen 1571 und 1584)

Der Text zu Regulus-Drachen-Kampf ist immer noch derselbe, nur an den Sprachstand der Zeit angepasst.

Titus Livius und Lucius Florus/ Von Ankunfft und Ursprung deß Römischen Reichs/ der alten Römer herkommen/ Sitten/ Weyßheit/ Ehrbarkeit/ löblichem Regiment/ Ritterlichen Thaten/ Victori und Sig/ gegen ihren Feinden: Auch von allerley Händeln und Geschichten/ so sich in Frid und Krieg/ zu Rom/ in Italia/ und bey andern Nationen/ damit die Römer jeder zeit zu thun gehabt/ fast innerhalb acht hundert jaren/ von erbawung der Statt an/ Erstlich unter der Könige/ und folgends unter der Consulen/ Regiment/ biß auff der ersten Römischen Keyser Regierung/ verlossen und zugetragen. Jetzund auffs neuw auß dem Latein verteutscht/ und mit ordentlicher verzeichnuß der fürnemsten Historien/ Jarrechnung/ kurtzer Livischen Chronica/ und Register/ in den Truck verfertiget/ Durch Zachariam Müntzer.Mit schönen Figuren geziert/ deßgleichen vorhin im Druck nie außgangen. Zu Franckfurt am Mayn: Georg Rab / W. Han Erben / S.Feyerabend 1568. > https://books.google.ch/books?id=Gcx0MfRo9OwC&hl=de&source=gbs_navlinks_s und > http://digital.slub-dresden.de/ppn27779479X

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1574 (und mehrfach bis 1637) erscheint eine Liviusübersetzung in Straßburg im Verlag Rihel mit Holzschnitten von Tobias Stimmer (1539–1584) und anderen Formschneidern.

||: Der Text zu Regulus-Drachen-Kampf ist immer noch derselbe, nur an den Sprachstand der Zeit angepasst. :|| (Bild Aus der Ausgabe 1603; Rahmen hier zwecks Übersichtlichkeit abgeschnitten.)

Titus Livius/ Und Lucius Florus/ Von Ankunfft und Ursprung deß Römischen Reichs/ der alten Römer herkommen/ Sitten/ Weißheyt/ Ehrbarkeyt/ löblichem Regiment/ Ritterlichen Thaten/ Victori und Sig/ gegen ihren Feinden: Auch von allerley Händeln und Geschichten/ so sich ... fast innerhalb achthundert jaren/ von erbawung der Statt an ... biß auff der ersten Römischen Keyser Regierung/ verloffen und zugetragen. Jetzund auff das newe auß dem Latein verteutscht/ und mit ordenlicher verzeychniß der fürnemsten Historien/ Jarrechnung/ kurtzer Livischen Chronica/ Register/ und schönen Figuren gezieret/ deßgleichen vorhin im Truck nie außgangen. Straßburg: Theodosius Rihel 1603.

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Eine illustrierte französische Ausgabe erschien 1515: Le premier [- tiers] volume des grans decades de Tytus Livius. Translatees de Latin en francois nouuellement corrigees et amendees.    
Imprimé à Paris pour Guillaume Eustace / François Regnault
[1515]. — Bis dato {April 2019} scheint es davon kein Digitalisat zu geben.

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Aus dem 16. Jahrhundert stammt diese Kupferplatte von Jan van der Straet (1523–1605); Philipp Galle (1537–1612); Karel van Mallery (1571–1635?):

Unten eingraviert:
Attilius consul Romanus, Regulus, arcu,
Telo, hasta, iaculo, multa cum clade suorum,
Afrum Serpentem, lingua vibrante minantem
Gyro terribilem, victor tandem superavit.

Phls Galle excud. / Joan. Stradanus invent. / Car. de Mallery sculp.

Venationes ferarum, avium, piscium, pugnae bestiariorum & mutuae bestiarum depictae a Joanne Stradano […], Antwerpen: Philipp Galle 1578-1580.

Digitalisat der BNF > https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b550059821/f48.item

Digitalisat des British Museum > http://tinyurl.com/y5d4o4m9

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Auch Antonio Tempesta (ca. 1555–1630) hat diese Szene (mit demselben Epigramm) graviert:

Im Geschichtswerk von Johann Ludwig Gottfried kommt die Szene auch vor (Kupfer von Matthäus Merian d.Ä.?):

Johann Ludwig Gottfried, Historische Chronica oder Beschreibung der führnembsten Geschichten so sich von Anfang der Welt biß auff unsere zeitten zugetragen, Franckfurt: Merian 1630.
Aus der Ausgabe 1674

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Was erkennt man mit einer solchen Studie?

»Romische Historie / Uß Tito Livio gezogen« – Die Geschichte vom Kampf des Atilius Regulus gegen den Drachen kommt nicht im überlieferten Text von Livius vor, und die lateinische Überlieferung kennt keine Bilder. Bei Text und Bild handelt es sich um Zugaben der Übersetzung von 1505, die von den späteren Verlegern übernommen werden. – Irgendwie widerspricht das unserer hehren Vorstellung, die humanistischen Autoren der sog. Renaissance (hier Bernhard Schöfferlin) seien dem Prinzip ›ad fontes‹ verpflichtet gewesen und um reine antike Texte bemüht.

Erstaunlich ist die Kontinuität des inserierten Textstücks im ›Livius‹ und ebenso die Kontinuität des Bilds, das immer wieder stilistisch angepasst wird. (Interessant wäre ein stilistischer Vergleich der verschiedenen Graphiker.) – Vgl. zum Thema der Bildwanderungen und Neuformungen auch diese Website.

Ausgeblendet wurde hier die Indienstnahme römischer Geschichte für die politische Ideologie der eigenen Zeit Schöfferlins; vgl. hierzu die zitierte Arbeit von Carla Winter (1999).

 

(Online gestellt von P.M. 9.11.2016; ergänzt im April 2019 und am 29.2.2020)